Wenn zu besonderen Anlässen ein Einwohner unseres Dorfes liebe Verwandte oder Bekannte in der heimatlichen Nachbarschaft, in Nordhusen, Leimich oder Erbich besucht, so wird er sicher mit dem Ruf empfangen: "Do kimmet jo dr Spackschnitzr!"
Unter diesem Spitznamen sind die Bewohner von Bielen von alters her in Stadt und Land bekannt. Umgekehrt sind für fast alle Nachbarorte ähnliche Ausdrücke bekannt. Damit wird sicher ein besonders herzliches Verhältnis der Menschen zueinander gekennzeichnet, das durch einen Schuß derben Humors gewürzt ist.
Ist es nicht reizvoll, sich den Bielschen vorzustellen, wie er am häuslichen Herd vor brodelnden Töpfen geschäftig tätig ist und auf dem großen Schneidebrett mit gewohntem Schwung und scharfen Messern Schweinespeck "schnitzt"?
Oder denken wir an den Bauern, der zur wohlverdienten Frühstückspause, auf dem Pflugsterz sitzend, seine Spackschnitzel aus gut durchdurchwachsenem Speck verzehrt.
Danach scheint Bielen doch der Ort zu sein, wo man lebt wie die "Made im Speck". Demgegenüber müssen die Leimbicher mit ihrem "Musdiemen" genügsame Menschen sein.
Von vielen solcher Spitznamen weiß man aber, daß sie in irgendeiner Weise mit der Ortsgeschichte und der Tätigkeit der Ortsbewohner in Beziehung zu setzen sind. So kann man für die Bleicheröder "Schneckenhengste" nachweisen, daß sie ihren Namen wirklich in tiefster Notzeit des deutschen Volkes erhalten haben, als die Bleicheröder die Schnecken der alten Weinberge sammelten und verkauften.
Wie werden die Bielschen zu ihrem Namen gekommen sein?
Aus alten Urkunden wissen wir, daß unser Dorf eine Wendensiedlung ist. Die Wenden verstanden es, sumpfiges Land zu kultivieren und bewohnbar zu machen. Ihre Siedlung lag am Rande des einstigen Auesumpfes und hatte nur über die nördlich des Dorfes vorbeiführende alte Heerstraße (Heute: "Alte Leipziger Straße") Verbindung mit Nordhausen und den umliegenden Dörfern. Die direkten Verbindungswege zu den Nachbarsiedlungen werden nur Fußstiege gewesen sein. Das nach Osten führende Gefälle der Goldenen Aue ist nur gering, und der größte Teil des Untergrundes besteht aus Kiesmassen, die im Laufe vieler Jahrtausende von Helme und Zorge in der Senke zwischen den Harzvorbergen, dem Kyffäuser und der Windleite abgelagert wurden. Dieses Gefälle und die leicht wasserdurchlässigen Kiesschichten förderten einen relativ hohen Grundwasserstand. Brachte nun Helme und Zorge im Frühjahr das Schmelzwasser des Harzes, so trat der Grundwasserspiegel an die Oberfläche und schuf sumpfartige Erscheinungen. Noch heute dringt das Grundwasser in die Keller alter Häuser unseres Ortes ein, wenn die Zorge besonders hohes Wasser führt.
Die Zorge scheint es nicht immer leicht zu haben, die besten Abflußstellen zu finden. Zwei kleinere Senken zwischen Bielen und Sundhausen lassen vermuten, daß die Zorge auch dort einmal ihren Lauf genommen hat.
Wollten nun die Randsiedler des Sumpfgebietes das natürliche Hindernis bezwingen, so mußten sie ihre Wege in das Sumpfgebiet hineintreiben, d.h. sie mußten ihre Wege so befestigen, daß sie auch bei hohem Wasserstand noch passierbar waren. Dazu war die den Wenden eigene Methode des Knüppeldamms die am besten geeignete. Außer den Knüppeln hat man wohl auch Faschinen zur Wegbefestigung verwendet. Während vieler Jahrhunderte war diese Art des Wegebaus im Sumpfgebiet der Zorge-Helme-Niederung die einzig mögliche, bis durch die Flamen auch andere Methoden der Kultivierung eingeführt wurden. Aber auch jetzt wurde das Langerprobte nicht vergessen, sondern von Generation zu Generation weiter angewandt.
Die so befestigten Wege aber nannte man Bohl-, Spack- oder Speckwege.
Hier drängt sich der Gedanke auf, jene Leute, die sich mit dem Schneiden der Knüppel und Reisigbündel befaßten, kurzerhand Spack- oder Speckschnitzer zu nennen. Darin käme auch im gewissen Grade Schadenfreude der höherliegenden Gemeinden zum Ausdruck, denn sie hatten es ja nicht nötig, ihre Wege und Stege auf solch mühselige Art und Weise zu erhalten und gegen das immer wieder angreifende Wasser zu verteidigen. Und diese freundschaftlich-ironische Schadenfreude ist es doch gerade, die einem Spitznamen den Charakter verleiht.
Damit wäre unser Gedankenkreis wieder geschlossen. Von dem Gebrauch unseres hier dargestellten Begriffsinhalts "Spackschnitzer" bis zur volkstümlichen, heute allgemein verbreiteten Auslegung, ist ein weiter Weg. Unser Vorhaben war es, einem in der gesamten Goldenen Aue bekannten Ausdruck auf den Grund zu gehen.Ist es gelungen, so sind wir froh darüber. Stimmen unsere Vermutungen aber nicht, dann bleiben wir aber trotzdem die "Spackschnitzer". Auf jeden Fall aber dürfte unsere Betrachtung dazu beigetragen haben, die Vorstellungen unserer Einwohner von der Vergangenheit ihres Ortes zu vervollständigen.
Quelle: Festschrift 800-Jahr Feier Bielen 1958
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